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  • Freitag, 31. Januar 2020
    die Begrenztheit des eigenen Handelns
    Einer der Männer, mit denn ich in den letzten zwei Jahre gearbeitet habe, ist B.🎩Kh. .
    Er ist hochqualifiziert, was ich an seiner differenzierten Ausdrucksweise und an seinen guten Englischkenntnissen erkannte hatte, noch bevor er mir von seinem Werdegang erzählte.
    In seiner Heimat Pakistan ist er der "falschen" politischen Überzeugung nachgegan­gen. Die darauf folgenden Konsequenzen hatten eine seelische Verfassung zur Folge, die ihm den Schlaf raubte und alles, was er tat, durch Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit erschwerte.
    B.🎩Kh. kam eines Tages mit einen Thema zu mir, zu dem die Gespräche sich anfühl­ten als säßen wir in einen dunklen Loch.
    Er berichtete mir mit Aufregung und Sorge, sein Bruder säße in Pakistan in politischer Haft und bat mich um Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit Amnesty Inter­national oder Human Rights Watch.
    „It's a rape case." warf er zwischendurch immer wieder ein, um mir die Brisanz der
    Lage zu verdeutlichen, die ich auch ohne seinen Hinweis dunkel erahnt hatte.

    Die Situation an sich war furchtbar. Vom ersten Moment an habe ich unseren Einfluss
    auf den Verlauf der Geschehnisse als sehr gering eingeschätzt.
    Erschwerend kamen die Verfassung des Bewohners und meine mäßiger Englischkenntnisse hinzu.
    Auf der eine Seite hatte B.🎩Kh. einen sehr gu­ten englischen Wortschatz, sodass ich das eine oder andere Wort nicht verstehen konnte, auf der andere Seite war er konfus und in großer Sorge, was sich auf seine Gesprächslogik auswirkte.

    Ein Anruf bei Amnesty International in der nächstgrößeren Stadt ergab, dass der Or­ganisationssitz in London für Fälle in Pakistan zuständig ist. London wiederum war über das Büro in Berlin zu kontaktieren.
    Der Bewohner meinte, London habe sich in der Vergangenheit bereits mit dem Fall des
    Bruders befasst. Ich bat ihn, mir den Namen des Bruders und alle verfügbaren Daten zur Korrespondenz mit London zu bringen. Aufgrund seiner Verfassung kam er diesem Auftrag nur zögerlich und in Teilen nach.
    Dann wieder wollte er einen Vor-Ort-Termin mit dem Amnestybüro in der Nach­barstadt machen. Meine Einwände er­reichten ihn nicht.
    Nach zwei Terminen, die aufgrund feh­lender örtlicher Orientierung und Sprachbar­riere, platzten, berichtete B.🎩Kh. mir von einer Verlegung seines Bruders in ein an­deres Gefängnis. Ich bat ihn wiederum um genauere Angaben.

    Irgendwann danach kam der Bewohner mit gesteigerter Sorge zu mir und sprach davon, seinen Bruder auf einem Foto ge­sehen zu haben. Dessen Zustand hatte ihn entsetzt.

    Gott sei Dank haben „die Kräfte vor Ort" letztendlich wohl eine Wendung zum Guten erreicht. B.🎩Kh. sprach von dessen Entlassung, Einzelheiten waren wieder nicht zu erfahren.



    Donnerstag, 30. Januar 2020
    ein übermütiger Kerl
    G ⚽️ J ist ein "Jungspund", der seine Kräfte ausprobierte, wann immer sich eine Gelegenheit bot
    Er llies einen Freund bei sich schlafen, dem es in dessen Unterkunft nicht gut ging und legte er sich mit meinem Kollegen an, denn sog. "Fremdschläfer" waren nicht erlaubt.

    Auch einem seiner Fußballkameraden stellte er sich entgegen, als dieser sich mit einem kleinen, schmächtigen Freund von G ⚽️ J prügeln wollte.
    "Wenn du dich prügeln willst, dann komm zu mir." ist mir zitiert worden.

    Und als er verstanden hatte, dass ich eine Freundin der Ehrlichkeit bin, "haute er mir Wahrheiten um die Ohren", die ich eigentlich gar nicht hören wollte. 😄

    Eines Tages stand er mit nacktem Oberkörper in meiner Bürotür und wollte meine Meinung zu seinem Aussehen wissen. Da hat er sich wohl etwas "vergaloppiert". 😄



    ein merkwürdiges Arrangement
    Da war zum einen ein älterer, deutscher Mann.
    Gebildet schien er zu sein und hat wohl ein gewisses finanzielles Polster.
    Er ist kinderlos geblieben.

    Und dann war da G ⚽️ J , einer unserer Bewohner. Ein junger, gut aussehender Mann mit hellem Teint und gutem Benehmen.

    G ⚽️ J half dem älteren Herren beim Einkaufen, auch Weihnachten verbrachten sie miteinander.
    Von Adoption war die Rede. Ob sie damit von einer Veränderung des Asylstatus ausgegangen sind weiß ich nicht. Es mussten zu diesem Zwecke Dokumente mit Behörden in der Heimat ausgetauscht werden, die Eltern von G ⚽️ J halfen dabei.

    In diesem Zusammenhang sollte unser Bewohner den Nachnamen des Deutschen annehmen.
    Alle anderen Schritte schienen mir in beidseitigem Interesse, bedacht und mit dem nötigen Anstand von beiden Seiten gegangen. Mit der Namensübertragung ging der Deutsche nach meinem Gefühl zu weit. Ich habe mich gefragt, wie sich G ⚽️ J und seine Eltern insgeheim mit dieser fühlen.



    Mittwoch, 29. Januar 2020
    die Bedürftigkeit mancher Menschen
    Am 04. Februar ist der zehnte Todestag meines Vaters.
    Meine Gefühle, ihm gegenüber, waren und sind ambivalent.
    Ich schreibe das ohne Groll oder Trauer, es ist mehr eine Feststellung.

    Meine Ahnung ist, dass sich vieles an seinem Verhalten mit einem Phänomen erklären lässt, das ich zunehmend zu verstehen glaube: Dass Reaktionen mancher Menschen im Umgang mit anderen stark von den eigenen Bedürfnissen nach Anerkennung uns Stärkung des Selbstwertgefühls bestimmt werden.
    Andere sind "nicht aufgeräumt" und übertragen "ihre innere Unordnung" unbewusst auf das Gegenüber.
    Je bedürftiger und "unaufgeräumter" ein Mensch ist, umso weniger Aufmerksamkeit kann er für die Wünsche und Bedürfnisse des anderen aufbringen. - Und umso mehr kommt der andere mit seinen Wünschen und Bedürfnissen in diesem Kontakt zu kurz und/oder wird für die eigene Bedürfniserfüllung mißbraucht.

    Vor diesem Hintergrund gewöhne ich mir zusehends ab, bestimmte Reaktionen persönlich zu nehmen. Nicht selten liegt ihre Ursache in der Verfassung des anderen, hat wenig mit mir zu tun.