„Liebe Leute, ich habe meinen Vertrag gekündigt. …
Ich danke Euch für
Eurer Respekt,
Euer Vertrauen und
Eure Geduld.“
Mit diesen Worten, aufgehängt an den Pinnwänden der Unterkunft, habe ich mich gestern von „meinen Bewohnern“, 80 geflüchteten Männern „aus aller Welt“, verabschiedet.
In der Stunde, die ich noch in der Unterkunft war, um meine Sachen zu packen, gab es …
- ein Dutzend Umarmungen;
- zwei Mal die Frage „Möchtest Du mitessen? Ich koche gerade.“;
- eine (nicht ganz ernst gemeinte) Diskussion darüber, dass nicht ich sondern der zweite Bewohner in meinem Büro darüber gesprochen hat, was für ein Arschloch mein Hausmeister-Kollege ist (Er ist selber erst drei Jahre im Land und ist, seinen Landsleuten gegenüber, sehr niederträchtig über mich hergezogen.);
- drei Angebote, mir beim Packen zu helfen;
- eine Flasche Sprit mit den Worten „Setzt Dich hin und trinke etwas.“;
- eine Erklärung dazu, was ein Schließfach ist. (Die Vertretungskollegin verbreitet ein unglaubliches Chaos, in dem auch die Bewohnerpost untergeht.);
- die Verteilung meiner selbstgekauften Kaffeebecher (Es gab in meinem Büro ab und an „Kaffeerunden“ mit ein paar Bewohnern.);
- eine Pflaume, im Vorbeigehen überreicht mit den Worten „Die ist für Dich.“;
- eine Bitte, einen kooomplizierten Antrag auszufüllen;
- den Satz „Ich habe Deine Stimme gehört und bin schnell zu Dir gelaufen. Wie geht es Dir?“ (Ich habe die letzten Wochen nicht mehr gearbeitet.);
- zwei besonders fassungslose Gesichter und die Worte „Es ist immer so, die guten, korrekten Menschen gehen und die schlechten bleiben.“;
- ein Lob an mich, eine gute Sozialarbeiterin zu sein und die Ankündigung, sich auf das Containerdach zu stellen und mit Selbstmord zu drohen, sollte ich nicht wiederkommen (Das war natürlich ein Scherz. Ein Neuzugang „hat es geschafft“, innerhalb seiner ersten zwei Wochen zwei Mal auf‘s Dach zu steigen, um ein Einzelzimmer zu erpressen. Ein ziemlich dümmlicher „Superheld“, meinem ersten Eindruck nach zu urteilen.:-) );
- den Bericht eines anderen Bewohners, nach dem der Kollege mich selbst in meiner Abwesenheit und nachdem klar war, dass ich gehe, noch bei meiner Chefin schlecht gemacht hat (Hier fiel zum zweiten Mal an diesem Abend das schöne deutsche Wort „Arschloch“.)
- und einen selbstgemachten „Wrap“ (Fragt mich bitte nicht, wie dieses Gericht in Indien richtig heißt.), den ich mit auf den Weg nach Hause bekommen habe.
So war unser Kontakt. Er war der Grund dafür, weshalb ich das letzte halbe Jahr durch-gehalten habe. Gedanken an Kündigung waren mir bereits im Winter gekommen. Ich habe weitergemacht, bis meine Energie auf dem Nullpunkt war und alles versucht, Verände- rungen zu erreichen, doch die Strukturen in dieser Firma sind so krank, dass sich nichts bewegt hat.
Vielleicht fahre ich die Männer mal am Wochenende besuchen, wenn „das Arschloch“ keinen Dienst hat.